CAT TIEN NATIONALPARK, VIETNAM – Es war heiß, feucht und … überfüllt. Und während ich die ersten beiden Faktoren gut aushalten konnte, brachte mich letzterer am meisten ins Schwitzen. Denn auf die Menschenmengen und den Lärm, die ich hier im Eingangsbereich des Cat Tien Nationalparks vorfand, war ich nicht vorbereitet gewesen. Im Angesicht dieses Massentourismus überkam mich Besorgnis: Ist Vietnams Artenvielfalt überhaupt noch zu retten?
Ich richtete meinen Blick wieder auf die gepflasterte Straße, die in den Dschungel führte. In rund 25 km wäre ich am Crocodile Lake. Dort könnte ich die letzten Siam-Krokodile Vietnams sehen. Doch konnte ich die Gruppen von Menschen, die diese Straße ein- und ausgingen, nicht ausblenden – zu Fuß, mit dem Fahrrad oder dem Safari-Trucks. Egal, heute war sowieso nur eine Erkundungstour.
Online hatte ich nicht viele Informationen darüber gefunden, wie man sich im Nationalpark bewegt. Doch hatte ich recherchiert, dass es hier einige der seltensten Tiere Vietnams gibt: Indische Elefanten, Gibbons, Gaur (eine einheimischer Wasserbüffel), Siam-Krokodile und viele mehr. Cat Tien ist einer der letzten Rückzugsorte für Biodiversität in Vietnam. Wilderei, Wildtierhandel und Lebensraumverlust bedrohen viele Arten hier mit dem Aussterben.
Vietnam | Cat Tien Nationalpark
OBEN: Stromschnellen des Dong-Nai-Flusses, die den Nationalpark von den besiedelten Teilen der Region trennen.
Mit einem Blick auf eine Gruppe Jugendlicher, die gerade auf Fahrrädern in den Regenwald hineinfuhr, machte ich mich auf den Weg. Nach kurzer Zeit kam ich zu einem kleinen Pfad, der zu einem uralten Tung-Baum führte. Warum nicht? Ich bog ab. Und stoppte kurze Zeit später.
Mehrere junge Frauen versperrten den Weg, während sie auf Lianen für Fotos posierten. Ich wartete eine halbe Ewigkeit, ging weiter und stoppte auf dem schmalen Pfad noch drei weitere Mal für weitere Fotoshootings bis ich endlich am Tung-Baum eintraf.
Die riesigen Wurzeln waren ziemlich beeindruckend. Wie bei allen alten Bäumen ging eine spirituelle Energie von diesem Baum aus… Doch eine Lautsprecherdurchsage riss mich aus dem Moment. Gerade traf eine geführte Gruppe ein. Der Guide erzählte ein paar Fakten und lud dann zu Fotos vor dem Baum ein. Ich ging. 700 Jahre alt war der Baum also.
Ich setzte meine Wanderung noch wenige Kilometer fort, bis es anfing zu regnen. Ich entschloss mich umzukehren. Für den Abend hatte ich sowieso noch eine Nachtsafari gebucht. Auf dem Rückweg sah ich eine Gruppe junger Erwachsener, die im Dschungel einen Grill aufgestellt hatte und fröhlich Hühnchenspieße drehte.
INFOGRAFIK – CAT TIEN NATIONALPARK
Am frühen Abend war die Nachtsafari ebenso überraschend. Das Transportmittel war ein alter Lkw auf den sich die ca. 30 Anwesenden draufquetschen sollten. Langsam stieg Genervtheit in mir auf. Was für ein Nationalpark war das eigentlich? Ich machte mir keine Hoffnungen irgendwelche Tiere zu sehen.
Mit angespannter Laune begann die Safari. Wir passierten einen abgesperrten Bereich und fuhren in den Regenwald hinein. Kurze Zeit später stoppte der Truck. Eine Gruppe Sambar-Hirsche graste auf einer Lichtung, nicht weit von der Straße entfernt. Die Gruppe war außer sich vor Freude.
Vor mir sprang ein Junge aufgeregt auf dem Sitz herum und hinter mir hörte ich einen Vater, der seinem Sohn die Gewohnheiten der Hirsche erklärte. Die Anwesenden schienen wirklich an der Natur und den Tieren interessiert.
Bei jeder Tiersichtung sprangen die Kinder auf und auch die Erwachsenen wirkten begeistert. Dass wir acht Mal dieselbe Hirschart sahen, änderte nichts an dem Enthusiasmus. Die Hirsche schienen sich an dem Truck und den Menschen nicht zu stören, doch ich sah, wieviel diese Tour den Menschen bedeutete. Fast alle waren Vietnamesen. Mir wurde warm ums Herz.
Wenn wir eine Verbindung zur Natur haben, dann halten wir es wert sie zu schützen.
Nachdem wir noch eine Zibetkatze und einen Blauflügelpitta sahen – beides seltenere Tierarten – beendete ich die Tour mit einer veränderten Einstellung. War da vielleicht doch Hoffnung für Vietnams Artenvielfalt?
Doch da waren immer noch die Siam-Krokodile im öffentlichen Bereich des Nationalparks.




OBEN: Blauflügelpitta und Sambar-Hirsche.
Am nächsten Tag mietete ich ein Fahrrad, um die ersten 15 km Straße zum Crocodile Lake schneller zu überbrücken. Der Eingangsbereich des Nationalparks war auch heute brechend voll.
Das Bild änderte sich nicht, je weiter ich in den Regenwald hineinfuhr. Überall waren Gruppen von Fahrradfahrern. Es war teilweise schwer durch die verschiedenen Zwischenstopps im Wald zu manövrieren, so voll war es. Allerdings bemerkte ich, dass fast alle Gruppen aus Jugendlichen, jungen Erwachsenen oder Familien mit Kindern bestanden.
Die sozialen Gruppen, die am meisten etwas im Umweltschutz bewirken können.
Und dann wurde der Trubel ab Kilometer 10 weniger. Plötzlich konnte ich die Vögel und Zikaden wieder hören. Die Sonne schien zwischen den Baumkronen hindurch und der Fahrtwind gab eine warme Brise. Es wurde innerlich ruhig in mir. Fast wäre ich an dem Eingang zum Crocodile Lake vorbeigefahren.
Es war eine kleine Bude, vor der ein Ranger saß. Er stand auf und teilte mir mit, dass der Eintritt acht Euro koste. Eine stolze Summe für einen Vietnamesen. Es machte auf einmal Sinn, dass hier nicht so viele Leute waren. Ich zahlte den Eintritt und begann die 10 km-Wanderung zum See.
Der Pfad war schmal und führte durch den dichten Regenwald. Zikaden, Heuschrecken, Schmetterlinge und Skinke fanden sich überall am Wegesrand. In den Ästen versteckten sich Vögel und Streifenhörnchen. Mehrmals hörte ich das laute Pfeifen der Gelbwangengibbons, die durch das Singen ihr Territorium markierten.
Tief im Dschungel bemerkte ich auf einmal ein lautes Rascheln in den Baumwipfeln: Eine Gruppe schwarzschenkliger Kleideraffen, die in den Baumkronen Blätter verspeisten. Ich war außer mir vor Freude.
Diese Affen leben nur in wenigen Teilen Südvietnams und Kambodschas und sind vom Aussterben bedroht. Wilderei und Lebensraumzerstörung machen ihnen zu schaffen. Umso schöner, diese Art hier im Nationalpark zu sehen – trotz des vorherigen Trubels. Ein Ruf des Männchens und die Gruppe verschwand im Wald.
Vietnam | Cat Tien Nationalpark | Schwarzschenkliger Kleideraffe
OBEN: Ein Schwarzschenkliger Kleideraffe. Die Art ernährt sich von Blättern, Früchten und Samen, und trägt so zum ökologischen Gleichgewicht des Waldes bei.
Nach einer halben Ewigkeit erreichte ich endlich die Ranger-Station, die den Eingang zum Crocodile Lake markierte. Die Ranger waren gerade beim Mittagessen und unterhielten sich in ausgelassener Stimmung. Sie lebten hier und das ist gut so.
Nur noch einige hundert Siam-Krokodile leben in freier Wildbahn. Einst gab es sie in einem Großteil Südostasiens und in Indonesien, heute haben Wilderei und Lebensraumverlust sie fast vollständig ausgerottet. Die größte Population findet sich in Kambodscha.
Die Tiere hier im Crocodile Lake stammen ursprünglich von dort. Denn das Siam-Krokodil war bereits in Vietnam ausgerottet worden. Die Individuen hier sind nun Teil eines Wiederherstellungsprogramms.
Ich ging den Pier zum See herunter, um die Krokodile zu sehen. Doch ohne Erfolg. Erst als ich einen Ranger fragte, sah ich, dass sich zwei Krokodile direkt am Uferbereich unter einigen Pflanzen versteckt gehalten hatten. Unheimlich.
Sie strahlten eine gelassene, eiskalte Aura aus. Das hier war ein Spitzenraubtier (auch wenn sie für den Menschen eigentlich nicht gefährlich sind). Ich genoss den Moment, außer mir und den Rangern war niemand sonst hier. Auch auf dem Weg hatte ich nur einige vereinzelte Gruppen vietnamesischer und ausländischer Touristen gesehen.




OBEN: Siam-Krokodil und der Crocodile Lake, ein Feuchtgebiet mitten im Cat Tien Nationalpark.
Nach einiger Zeit begab ich mich zufrieden auf den Rückweg, ich hatte gesehen, wofür ich gekommen war. Und ich war hoffnungsvoll.
Der Großteil der Menschen war jung gewesen und schien dem Großstadtleben für ein paar Tage entfliehen zu wollen. Alle schienen glücklich, aufgeregt und aufrichtig an der Natur interessiert zu sein. Und das relativierte den Massentourismus.
Vietnam ist ein sich rasend schnell entwickelndes Land. Es hat hundert Jahre Kolonialisierung und Ausbeutung durch die Franzosen und den Vietnamkrieg durch die US-Amerikaner aufzuholen. Beides hat das Land in seiner Entwicklung zurückgeworfen. Was hier gerade für die lokale Bevölkerung zählt, ist Wohlstand zu schaffen. Und das geht leider meist auf Kosten der Natur.
Doch wenn einheimische und internationale Touristen zu Orten wie dem Cat Tien Nationalpark kommen, dann wird die Relevanz dieser letzten Rückzugsorte für bedrohte Arten klar. Auch wenn der Andrang jetzt erstmal groß ist und die Ausführung noch ein wenig verbessert werden kann. Die Menschen, insbesondere die Vietnamesen, fangen an, sich mit der lokalen Natur zu verbinden und zu identifizieren.
Diese Einschätzung unterstrich am nächsten Tag auch ein Guide, als ich auf dem lokalen Fluss eine Bootstour unternahm. Er erzählte, dass sich der Nationalpark in den letzten Jahren stark entwickelt hatte. Die lokale Bevölkerung hatte nach und nach in Infrastruktur und Ökotourismus investiert.
Zwar gebe es vermehrt Mensch-Tier-Konflikte (so war vergangene Woche ein Farmer von einem wilden Elefanten getötet worden), doch die Regierung schütze die Tiere nun verstärkt. Wilderei gebe zum Beispiel nun 10 Jahre Gefängnisstrafe.
Außerdem hatten in der Vergangenheit ausschließlich internationale Touristen die Nationalparks Vietnams besucht. Heute sei der Großteil Vietnamesen.
Meine Erfahrung im Cat Tien Nationalpark zeigte eindrücklich: Sobald wir eine Verbindung zur Natur besitzen, wollen wir sie auch schützen. Es besteht also Hoffnung.
Vietnam | Dong-Nai-Fluss